Interview mit RAISE Agriculture

RAISE Agriculture will einen komfortablen Drohnen-Monitoring-Service für Landwirte anbieten. Die Daten werden vor Ort von der KI-Software verarbeitet und innerhalb von 24 Stunden erhalten die Kunden einen detaillierten Field Health Report, um ihre Felder langfristig zu verbessern.

Hallo Pauline, für alle Leser*innen, die noch nie etwas von Raise Agriculture gehört haben, stell doch bitte die Firma, eure Produkte und eure Philosophie kurz und kompakt vor.

Pauline Neuholz: RAISE UG ist ein Agrotech-Startup, das sich auf die Erfassung und Analyse von Pflanzendaten konzentriert. Wir integrieren Satellitendaten, Drohnenbilder und Kamera-Feeds in unsere eigenen einzigartigen Algorithmen, um eine ganzheitliche Feldgesundheitsanalyse für Landwirte bereitzustellen. Derzeit führen wir Pilotprojekte in Deutschland, Brasilien und Indien durch. Unser Team besteht aus 9 Personen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, 7 Nationalitäten und 4 Religionen. Landwirte haben heutzutage mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Der übermäßige Einsatz von Pestiziden, Wasser, Geld und Zeit in der industriellen Landwirtschaft schädigt die Biosphäre. Grundwasser wird knapper, wir hatten in den letzten Jahren mehrere Dürren in Brandenburg zu verzeichnen, von den Waldbränden ganz zu schweigen. Die Personalkosten steigen, und noch mehr steigen die Preise für Dünger und Pestizide im Zuge des Ukraine-Krieges. Viele der dafür nötigen Chemikalien kommen aus Osteuropa. Dazu kommen die Probleme aufgrund des Klimawandels. Der öffentliche Druck resultiert in neuen Agrarverordnungen der EU. Derzeit befinden wir uns an einem Punkt, an dem sich die Landwirtschaft in einem Wettrennen zwischen den Auswirkungen des Klimawandels und den technologischen Lösungen für diese Auswirkungen liefert. Diese Lösungen – KIs, Drohnen, Software, Roboter – können sich oftmals nur Großgrundbesitzer leisten. Das verschärft die Ungleichheit unter den verschiedenen Agrarproduzenten. Die Kleinen werden aufgefressen. Unsere Welt wird heute angetrieben von einem Strom aus Daten – die Landwirtschaft macht da keine Ausnahme. Die Tools, die heute auf dem Markt sind, können nur Agrarwissenschaftler und Datenanalysten verwenden, weil sie komplex sind und Unmengen an Daten verbrauchen. Wir bieten etwas an, das jeder Landwirt und jeder Wissenschaftler auf der Welt verwenden und so Ressourcen sparen kann – das ist unsere Vision, den Verbrauch an Düngemitteln und Pestiziden und Wasser um 20% zu reduzieren.

 

RAISE Agriculture kurz gefasst!

Seit wann gibt es dieses Unternehmen und woraus ist es entstanden?

Pauline Neuholz: Die ursprüngliche Idee hatte unser CTO Abir vor einigen Jahren im Zuge eines Wettbewerbs seiner Uni in Deutschland. Zwischen 2010 und 2020 haben 10.600 indische Bauern und Landarbeiter Selbstmord begangen, weil sie ihre Familie in den gegenwärtigen Umständen nicht mehr ernähren konnten. Teilweise mussten sie auf ihre eigenen Ersparnisse zurückgreifen, um ihre Produkte an Zwischenhändler zu verkaufen, was viele in den Ruin getrieben hat. Abir suchte nach einer Lösung, die Kosten der Bauern für Dünger mit einfacher und kostengünstiger Technik zu senken – und damit die Selbstmordrate in Indien. RAISE wurde aus der Taufe gehoben. To raise crops bedeutet übrigens “Feldfrüchte anbauen”. To raise awareness bedeutet “das Bewusstsein schärfen”, aber auch to raise funds, also Gelder eintreiben. Uns ist gleichermaßen an allen Bedeutungen des Wortes gelegen. 2021 beantragte Abir mit zwei anderen Studenten Exist Gründerstipendium über seine Uni. Im Laufe der nächsten 12 Monate hat sich das Team mehrfach verändert, was uns vor nicht geringe Herausforderungen gestellt hat. Nilav (CBDO) arbeitete seit über einem Jahr mit Abir zusammen, Sebastian (CEO) stieß im Oktober 2022 dazu und ich als COO im November 2022. Wir sind in sehr kurzer Zeit zu einem effizienten und hochmotivierten Quartett zusammengewachsen. Jeder von uns arbeitet Vollzeit oder Teilzeit und nutzt seine Abende und Wochenenden für RAISE. Im Januar schließlich haben wir uns in Königs Wusterhausen beim Notar getroffen und unsere Unterschriften unter die Gründungsurkunde gesetzt

 

Die Drohnen erfassen den Gesundheitszustand landwirtschaftlich genutzter Flächen. Welche Daten könnt ihr mit eurem Produkt „aus der Höhe/Ferne“ ermitteln und den Landwirten weitergeben? Lassen sich daraus auch direkt Handlungsmaßnahmen ableiten, um den Fehler zu entfernen bzw. das Feld zu verbessern?

Pauline Neuholz: Unsere Lösung ist einfach, intuitiv und lässt sich einfach in den Alltag des Landwirts integrieren. Wenn er eine Drohne hat, lädt er Drohnenbilder in unsere Cloud hoch. Wenn er keine Drohne hat, montieren wir eine Kamera an seinen Traktor und laden deren Bilder in der Cloud hoch. Später bieten wir noch einen Service mit autonomen Robotern an, die wie Marsrover aussehen und eine Kamera und ein Gerät zur Bodenanalyse installiert haben. Für den Moment ist unser MVP ein PDF-Bericht, der eine detaillierte Analyse der Pflanzengesundheit während einer Saison gibt, einschließlich Nitratgehalt, Schädlinge, Krankheiten und Unkräuter. Unser Field Health Report ist ein interaktives Tool, das wir zu einem Webservice und begleitenden Hardwarelösungen für die Datenerfassung weiterentwickeln. Der Landwirt bekommt eine interaktive Karte seines Feldes. Gesunde Pflanzen haben ein grünes Icon, geschädigte Pflanzen ein rotes Icon, das ihm genau sagt, wie viel Dünger, Wasser oder Pestizid er braucht, um das Problem zu lösen – mit genauem GPS-Standort jeder einzelnen Pflanze. Die Idee dahinter ist, dass er während eines heißen Sommers nur die 20% des Feldes wässert, die wirklich Wasser brauchen. Oder dass er Pestizide nur am Westrand des Erdbeerfeldes sprüht, wo sich Unkräuter ausgebreitet haben.

Wo steht das Unternehmen RAISE Agriculture zum jetzigen Zeitpunkt (10.03.2023)? Befindet ihr euch aktuell in der Entwicklung oder wird das Produkt bereits bei Kunden eingesetzt?

Pauline Neuholz: Der Vorteil einer Software ist, dass die Produktionskosten relativ niedrig sind, vor allem wenn man frühzeitig strategische Partnerschaften eingeht. Wir nutzen eine Bandbreite von Microsoft Tools für Startups. Wir haben Open Source Algorithmen kombiniert und optimiert. Wir nutzen den öffentlichen Satelliten Sentinel 2A der European Space Agency, an deren Accelerator wir teilnehmen, um unsere KI mit Satellitenbildern zu füttern. Wir haben unseren Field Health Report als PDF bereits bei mehreren Pilotstudien getestet und entwickeln derzeit die eigentliche Software, den Health Hub. Wir befinden uns im Technology Readiness Level 6 (von 9) und sind derzeit mit der Erstkundenakquise beschäftigt. Hilfreich ist es hierbei, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Wenn
man seine Value Proposition genau plant und seine Zielgruppe klar definiert (je spezialisierter, desto besser), werden die relevanten Stakeholder irgendwann von selbst auf einen aufmerksam. Das erste Jahr haben wir uns über ein Exist-Gründerstipendium finanziert. Seit Oktober sind wir in dem Valley of Death, wo wir Zeit investieren müssen, um Kunden zu generieren, uns aber gleichzeitig ernähren müssen. Deshalb arbeiten wir alle für andere Firmen und investieren unsere Zeit und unser Gehalt für RAISE. Unsere zukünftige Finanzplanung sieht eine Kombination aus monatlichem Nutzungsbeiträgen der Kunden und öffentlichen Fördergeldern vor. Hier kommen Programme der ILB, der Landwirtschaftlichen Rentenbank und der EU in Frage.

Feld

Könnt ihr für Gründungsinteressierte bitte einmal erklären, welche Unternehmensform für euch die beste Variante war/ist und warum ihr euch dafür entschieden habt?

Pauline Neuholz: Bevor wir RAISE UG gegründet haben, haben wir die Firma RAISE Agriculture GbR im Gewerbeamt Königs Wusterhausen angemeldet. Eine GbR zu gründen kostet 26€. Eine UG oder GmbH zu gründen kostet 648€. Bei einer GbR füllen mindestens 2 Personen online oder im Gewerbeamt eine Meldebestätigung aus, zahlen den Betrag und bekommen einen Gewerbeschein ausgestellt. Das Ganze war bei uns an einem Nachmittag erledigt. Bei einer GmbH oder UG geht einer der Gründer zum Notar, füllt ein Gründungsformular aus, bekommt zwei Wochen später einen Vertragsentwurf zugeschickt und weitere zwei Wochen später einen Termin, bei dem alle geschäftsführenden Gesellschafter anwesend sind. Dort wird der Vertrag vom Notar vorgelesen und etwaige Fragen beantwortet. Anschließend bekommt jeder 4 Dokumente zum Unterschreiben ausgehändigt: Die Gesellschafterliste, die Handelsregister-Neuanmeldung, die Gründungsurkunde und den Gesellschaftsvertrag. Erstere erfasst die Anteilsverteilung zwischen den Gründern. RAISE hat ein Stammkapital von 1500€. Ein Anteil ist einen Euro wert. Also haben wir 1500 Anteile. Ich habe 10% der Anteile an der Firma, also 150 Anteile, weil ich 150€ auf unser gemeinsames Konto eingezahlt habe. 1300€ Stammkapital sollte man mindestens wählen, weil davon der Notar bezahlt wird (648€ in unserem Fall), und es ist unklug, mehr als die Hälfte seines Stammkapitals aufzubrauchen. Die relativ niedrige erforderliche Höhe des Stammkapitals war für uns ausschlaggebend für die Wahl der UG. Eine Unternehmergesellschaft hat niedrigere Investitionskosten als eine GmbH, bei der 12.500€ im ersten Jahr an Stammkapital und 12.500€ im zweiten Jahr eingezahlt werden müssen. Man kann aber später eine UG auf eine GmbH upgraden, muss dann aber 25.000€ auf einmal aufbringen. Die Frage stellen wir uns nach den ersten öffentlichen Fördergeldern. Der Grund, warum wir nicht eine GbR geblieben sind: Weniger Fördergelder und ein höheres Risiko. Geht es der GbR schlecht, haften wir mit unserem eigenen Geld. Bei der UG haften wir mit dem Stammkapital.

Buch

Cover des Feldgesundheitsberichtes

Computer

Vollständig automatisiertes Monitoring des Feldzustandes

Aus wie vielen Mitarbeitern besteht eure Firma und wollt ihr weiter expandieren?

Pauline Neuholz: Der Begriff “Mitarbeiter” ist im Startup Kontext ein wenig heikel. Wir stellen keine Arbeitsverträge aus. Ich bevorzuge daher den Begriff “Teammitglieder”. Wir sind 10 Teammitglieder – 4 Gründer und 6 Leute, die freiwillig und ohne Bezahlung ihre Zeit investieren, weil sie an einem spannenden Projekt mitarbeiten wollen. In diesem Sinne sind sie “Mitarbeiter”. Abirs (CTO) ursprüngliche Teamkollegen von Exist sind zwischenzeitlich abgesprungen, Sebastian und ich sind als Gründer dazugekommen, Nilav und Taha arbeiten schon über ein Jahr unentgeltlich an RAISE. Drei weitere Teammitglieder, Hien, Jens und Albrecht, arbeiten in ihrer Freizeit an verschiedenen Projekten mit, und kürzlich ist eine Finanzexpertin zu uns gestoßen. Wir haben eine Frauenquote von 20%, was der Software- und Ingenieurausrichtung unseres Produktes geschuldet ist. Wir haben Katholiken, Hindus, Juden, Muslime und Atheisten im Team. Wir kommen aus Deutschland, den USA, Indien, dem Irak, Bangladesch und Kanada. Unsere Firmensprache ist Englisch und wir halten Meetings in 5 Zeitzonen ab, unsere internationalen Kunden eingeschlossen. Bis auf mich sind alle durch persönliche Kontakte zu RAISE gekommen. Wir hatten nie eine Stellenausschreibung für Gründer oder Praktikanten. Ich kam auf Empfehlung einer anderen Gründerin zu RAISE, als ich eine Kooperation zwischen RAISE, E-Terry und meinem ehemaligen Startup PAAWR angestrebt habe. PAAWR ist daran gescheitert und ich habe am nächsten Tag bei RAISE angefangen – erst als Beraterin und einen Monat später als Gründerin.

»Wir bieten etwas an, das jeder Landwirt und jeder Wissenschaftler auf der Welt verwenden und so Ressourcen sparen kann - das ist unsere Vision, den Verbrauch an Düngemitteln, Pestiziden und Wasser um 20% zu reduzieren«

Pauline Neuholz

Wo soll euer Produkt überall eingesetzt werden? National/International? Und welche Pflanzenarten möchtet ihr mit eurem Produkt abdecken? Gibt es vielleicht auch Anwendungsmöglichkeiten, die über landwirtschaftliche Flächen hinaus gehen? 

Pauline Neuholz: Wir verwenden unsere eigenen Algorithmen, um ein Ressourcenmanagementmodell zu erstellen, das auf die spezifischen Bedürfnisse jeder Kultur zugeschnitten ist – Zuckerrüben, Kartoffeln, Erdbeeren, Wein, Soja, Mais und Winterweizen können wir sofort verarbeiten. Neue Sorten lernt unsere KI, nachdem sie 60 Nahaufnahmen der Pflanze gesehen hat. Derzeit haben wir Pilotprojekte in Deutschland, Brasilien, Finnland, Bangladesch, Spanien und Griechenland, sowohl mit Landwirten als auch mit Forschungsinstituten. Unser Anspruch ist, dass jeder Landwirt auf der Welt unsere Software nutzen kann. Solange wir noch keine Software haben, arbeiten wir mit den entwickelten Agrarindustrien zusammen. Hierbei erweisen sich Drohnen für landwirtschaftliches Monitoring als ein sehr gutes Einfallstor. Genau darin liegt das Potenzial unserer KI: Sie kann über das Erkennen von Pflanzen hinaus trainiert werden. Im sogenannten Bambi Projekt wollen wir die Rettung von Rehkitzen und anderen Wildtieren vor dem Mähtod mit Drohnen und Wärmebildkameras automatisieren. Ein Flughafenbetreiber hat uns kürzlich gebeten, Wildtiere auf dem Flughafengelände mit seinen Drohnen und unserem Algorithmus zu erkennen. Außerdem könnten wir in naher Zukunft Anomalien in den Wäldern Finnlands erkennen oder die Qualität von Heuwiesen bewerten.

Drohne

 

Zu guter Letzt werfen wir einen Blick in die Glaskugel: Wo steht „Raise Agriculture“ in fünf Jahren?

In fünf Jahren haben wir in Kooperation mit anderen Unternehmen ein vollautomatisches Analysesystem entwickelt, dass die Gesundheit der globalen Agrarbestände am Boden, aus der Luft und aus dem All erfassen kann. Unsere Technologie hat im großen und im kleinen Stil dazu beigetragen, den CO2-Fußabdruck unserer Kunden zu senken. Wir haben 50 Bestandskunden, die uns an ihre Freunde und Nachbarn weiterempfehlen. Wir arbeiten mit den größten Playern der Branche zusammen, die unsere KI für ihre Kunden anbieten. Wir haben Niederlassungen in Brasilien, Finnland und Indien eröffnet. Wir sind in der Lage, uns selbst und alle ursprünglichen Teammitglieder in Vollzeit zu bezahlen, außerdem haben wir einen Chief Design Officer und mehrere Millionen an Fördergeldern eingeholt. 

Gibt es etwas, was ihr anderen Gründer*innen auf den Weg geben möchtet, die vielleicht auch eine gute Idee haben, aber sich nicht trauen, diese umzusetzen, da es mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist?

Pauline Neuholz: 

●Nehmt am Businessplan Wettbewerb Berlin Brandenburg (BPW) teil.
● Schreibt euren Businessplan anhand dessen Handbuch.
● Meldet euch online zu allen Gründerseminaren an.
● Tut das Gleiche bei der Potsdam Science Park Startup Academy.
● Erstellt mit Kuang Dai von der WFBB eine Roadmap für öffentliche Fördergelder.

● Nutzt alle diese Informationen, um einen überzeugenden Businessplan zu
schreiben und damit Fördergelder zu beantragen. Das dauert gewöhnlich drei Monate und mehr, aber es ist besser, als einen Kredit aufzunehmen.

 

●Gründet nicht in Berlin oder Potsdam oder Cottbus, sondern in einer kleineren Stadt in Brandenburg, wo ihr später weniger Steuern zahlt.

● Nutzt Google Drive, Discord, Trello und Google Kalender für eure interne Organisation.

● Haltet euch an das Buch “Disciplined Entrepreneurship” und “The Lean Startup”.
● Bei Fragen, wendet euch an euren Gründerservice, eure regionale IHK und an die Berater des BPW.

Interview geführt im März 2023 mit Pauline Neuholz

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