Interview mit kollektiv stadtsucht

Das Cottbuser kollektiv stadtsucht vereint seit 2008 Kreative und Akteure der Raum- und Bauwissenschaften. Ihr Motto heißt: „Wir finden Wege (dafür), keine Gründe (dagegen).“ Aktuell läuft unter dem Hashtag #traumfabrikcb ein spannendes Partizipationsprojekt zum Einreichen von Ideen für die Stadtpromenade in Cottbus. Wir sprechen mit den Geschäftsführern und BTU Alumni Joachim Faßmann und Lucas Opitz über das bunte Kollektiv.

Hallo Joachim und Lucas, wie seid ihr auf die Idee zum kollektiv stadtsucht gekommen und was waren die Hauptgründe, euch Kollektiv zu nennen anstatt einen konventionellen Agenturnamen anzunehmen?

Die Idee zum kollektiv stadtsucht kam uns in einer lauen Sommernacht auf dem Rückweg eines diskussions- und visionsreichen Abends irgendwo in Cottbus‘ Nachtszene. Unsere Art Projekte und Ideen zu entwickeln, verfolgt kein Standardschema und ist mitunter unorthodox. Das hat uns während des Studiums nicht nur Blumen eingebracht, aber unser Profil und unsere Herangehensweisen geschärft.

Der kollektive Ansatz ist gelebte Alltagspraxis. Allen Wegbegleiter*innen, mit denen wir zusammenarbeiten, wird auf Augenhöhe begegnet. Das betrifft Mitarbeiter*innen aber auch Auftragnehmer*innen und -geber*innen. Wenn das Zusammenspiel nicht klappt, dann sollte man es besser lassen. Der Versuch zu Beginn ist das Entscheidende. Alle haben die Aufgabe und die Freiheit, sich mit Ideen, Ansichten und eigenen Projektansätzen einzubringen, die beraten und diskutiert werden.

Im kollektiv ist eine hohe Selbstständigkeit und Eigenverantwortung erforderlich. Dadurch wird eine große Themenvielfalt erzeugt, mit der wir uns inhaltlich auseinandersetzen. Unser Anspruch ist es nicht nur ein Planungsbüro, sondern eine paritätische Einheit zu sein. Dem kann nur ein kollektiv gerecht werden. Die Sucht nach Stadt erklärt ihr übriges.

 

Eurem Kollektiv gehören mehrere BTU Alumni an, wer ist das alles, was sind deren Studienhintergründe und deren Aufgabenbereiche im Kollektiv?

Hauptsächlich sind das Menschen, die Stadt- und Regionalplanung studiert haben, aber auch Architektur und soziale Arbeit. Auffallend ist, dass wir in unserem Alltag Fähigkeiten an den Tag legen müssen, die wir nicht an der Uni gelernt haben. Für uns als selbstständige Stadtplaner wären z.B. Grundzüge der BWL nützlich gewesen. Nach dem Studium sollten wir nicht nur wissen, was ein Bebauungsplan ist und wie er auszusehen hat. Wir sollten doch auch wissen, was so etwas kostet und wie wir Menschen finden, die so was bezahlen, oder? Mittlerweile haben wir Ahnung davon, aber wie man sich vorstellen kann, war die Erkenntnis sehr teuer.

Wir legen Wert darauf, dass die Aufgabenbereiche im kollektiv zu den individuellen Fähigkeiten und Interessen der Kollektivist:innen passen. Das ist auch ein Ansatz für eigene Projekte, abseits des Auftraggeber:innen- und Auftragnehmer:innenverhältnisses und kommt uns fortlaufend zu Gute. Aufgrund dieser Erkenntnisse legen wir Wert darauf, dass das kollektiv personell in die Breite wächst. Am Ende des Tages macht auch eine Stadt die Mischung der Menschen aus. Unsere Aufgabe ist es, die Möglichkeiten zuzulassen.

 

Wie sieht eure Arbeitspraxis aus? Was sind typische Auftraggeber und typische Projekte für euch?

Seit Beginn haben wir uns Aufgaben gesucht, deren Lösung wir vorher nicht kannten. Jedes abgeschlossene Projekt hat uns die Türen für neue Herausforderungen geöffnet. Wir sind unseren Idealen auch in den harten Zeiten nicht überdrüssig geworden. Das heißt für uns auch weiterhin Nachhaltigkeit, Gemeinwohlorientierung, Beteiligung und Kreativität in unserer Arbeitspraxis zu leben.

Generell arbeiten wir sowohl für öffentliche als auch private Auftraggeber:innen, aber nicht für alle und nicht mit allen. Das Kerngeschäft sind sicherlich räumliche Studien und Konzepte, Bebauungs– und Masterpläne sowie städtebauliche Analysen. Darüber hinaus bearbeiten wir  Projekte, die weit darüber hinausgehen:

Die #traumfabrikcb praktiziert eine partizipative Ideenentwicklung mit dem Ziel, die Stadt als Lebensraum zu begreifen und gemeinsam zu entwickeln. Die Koordinierungsstelle Wohnungstausch ist ein experimenteller Beitrag für bezahl- und bedarfsgerechten Wohnraum in Potsdam. Die konkrete Arbeitspraxis hinter diesen und anderen Projekten ist Betriebsgeheimnis. Nur so viel: eine umfassende Analyse zum Verstehen der Rahmenbedingungen und die Kommunikation, der offene Diskurs, sind entscheidend. Die Strategie zur Zielerreichung leitet sich davon direkt ab.

 

Wie kam es, dass ihr in Cottbus gegründet habt? Was sind eurer Erfahrung nach Vor- und Nachteile hier zu gründen?

Cottbus ist zu unserer Heimatstadt geworden. Wie die Kohlekumpel in der Vor-Wende-Zeit sind wir in die Region gekommen und geblieben. Wir führen quasi eine Tradition weiter. Nur ist unser Braunkohlenkombinat die BTU gewesen. In deren Dunstkreis konnten wir uns auf die inhaltliche und strategische Arbeit konzentrieren. Im Ergebnis hat die Uni zwei Menschen ausgebildet, die aktuell 12 Arbeitsplätze in der Region geschaffen haben. Bildungs- und Wirtschaftspolitik liegen ziemlich nah beieinander. An Ersterem zu sparen ist also eher weniger zukunftstauglich.

Wir haben leider feststellen müssen, dass der Bildungsstandort Cottbus als Durchlauferhitzer dient. Viele der Absolvent:innen verlassen die Stadt, wenn sie das als Studierende nicht schon jedes Wochenende machen. Das trifft auch auf den Lehrkörper zu. Die Gründe hierfür sind sicherlich verschieden, die Identifikation aber das Entscheidende. Für uns bedeutet das, dass wir die potenziellen kollektivist:innen möglichst früh einbinden. Wir wollen unseren Leuten Gestaltungsmöglichkeiten geben. Für Überzeugungsarbeit zum Standort Cottbus ist es im Abschlusssemester zu spät. Dementsprechend stehen wir für die Leitung von Lehrstühlen gern zur Verfügung. Als inhaltliche Vorschläge möchten wir den Strukturwandel, Evidence-Based-Urban-Planning und Gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung einbringen. Viele Praxissemester und eine Ausbildung im europäischen Verbund würden wir dabei forcieren.

Zurück zum Thema: Als Berufseinsteiger und dazu als Freiberufler war die Anfangszeit verdammt schwierig. Eine breit angelegte Akquise, Hartnäckigkeit im Klinkenputzen und erfolgreiche Projekte haben uns dann die eine oder andere Tür geöffnet. Manchmal haben wir aber auch Türen eingetreten. Wir schätzen, die Erfahrungen haben viele Gründer:innen hier und überall anders auch gemacht. Lehrjahre sind keine Herr:innenjahre.

 

Ihr seid auch in vielen anderen Projekten umtriebig, was motiviert beziehungsweise interessiert euch am meisten an Raum- und Bauprojekten?

Wir beschäftigen uns tagtäglich mit der Lebenswelt der Menschen, Orten, Herausforderungen und Perspektiven. Gesellschaftliche Interessenskonflikte bedürfen gemeinsamer Lösungen. Unsere Aufgabe ist es, diese Lösungen zu erarbeiten, zu kommunizieren und umzusetzen. Nicht immer ist das Ergebnis dieser Prozesse und damit unserer Arbeit unmittelbar sichtbar und Zeithorizonte liegen in weiter Ferne. Wir gestalten die Zukunft, da fließt eine Menge Wasser die Spree hinunter. Unser Handwerkszeug besteht darin am Ball zu bleiben und eine kontinuierliche und offene Diskussion zu führen. Sollten die Rahmenbedingungen dahingehend nicht stimmen, haben wir leider nicht den richtigen Weg gefunden. Auch das Scheitern ist Teil unseres Jobs.

Wir freuen uns darum umso mehr, wenn unsere Arbeit etwas bewegt – wie bei unserer Koordinierungsstelle Wohnungstausch in Potsdam. Wir haben es dort mit einer Vielzahl von Einzelschicksalen zu tun, mit denen wir uns auseinandersetzen und die in den Lösungsansatz einfließen. Wir haben die Überzeugung, dass Wohnungstausch einen Beitrag zu bedarfsgerechtem Wohnraum liefern kann und wir analysieren, welche Einflussfaktoren und Instrumente für den Erfolg entscheidend sind. Dabei wird uns eine große Unterstützung der Landeshauptstadt zuteil. Wir arbeiten zugleich im öffentlichen Interesse und für das Individuum. Das ist das Spannende an unserer Arbeit.

 

Ihr arbeitet gerade an einem interessanten Projekt unter dem Hashtag #traumfabrikcb, könnt ihr bitte mehr dazu erzählen?

Die Stadtpromenade in Cottbus ist ein Ort, an dem sich eine Vielfalt an Konsequenzen aus politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen manifestiert. Spekulationsabsichten widersprechen hier einer Kernaufgabe von Stadt, im Sinne des gemeinschaftlichen Lebensraums. Mit einer gesunden Menge Trotz ruft die #traumfabrikcb zur Beteiligung an einer Sache auf, an der nicht beteiligt werden kann oder soll. Das Projekt bahnt sich einen Weg in die Materie. Mit einer bejahenden, zukunftsgewandten und lustvollen Strategie, verschiebt sich die eigene Perspektive und fahndet nach einem anderen Standpunkt. Mit Erfolg: Die Bürger:innen der Stadt Cottbus nehmen diese Einladung an und gestalten einen positiven Zukunftsdiskurs. Es ist Wahnsinn zu sehen, welche Potenziale in den Menschen dieser Stadt liegen.

Mithilfe von analogen und digitalen Vorlagen werden Ideen eingesendet. Ende des Sommers 2021 wollen wir die Ergebnisse in einer Ausstellung präsentieren. Die Imagination ist der erste Schritt der Aneignung. Jede eingesendete Idee sagt: „ich empfinde es als mein Recht, meine Meinung kundzutun“. Die Köpfe, die einen anderen möglichen Zustand „gesehen“ haben und die Bilder dieser Zustände, formieren und kumulieren sich zu einem unübersehbaren, nicht zu dementierenden öffentlichen Anliegen. Dadurch wird das Projekt zum Hinweis auf einen Fehler und eine Forderung zur Berichtigung. Dieser konkrete Ort wird zur Herausforderung des Status quo und äußert den Anspruch zu mehr Mitsprache und Transparenz bei Entscheidungen über unser aller Lebensraum, der Stadt. Wenn es im Anschluss immer noch nicht klappt, überlegen wir uns vielleicht, wie wir es selber machen können.

 

Wie kann man Teil eures Kollektivs werden, was sucht ihr für Leute?

Eine Meldung in adäquater Form bei uns ist ausreichend. Bisher schaffen wir es mit allen direkt zu sprechen. Wir suchen Menschen, die Verantwortung und Freiheiten zugleich tragen können und wollen. Das ist der Unterschied zwischen Lohnarbeit und lohnender Arbeit.

Es muss auf einer persönlichen und auf einer professionellen Ebene passen. Hier sitzen Menschen, uns eingeschlossen, die ganze Woche zusammen. Da sind grundlegende, zwischenmenschliche Konflikte oder berufliche Unzulänglichkeiten fehl am Platz. In unseren, nennen wir es subversiven, Bewerbungsgesprächen möchten wir herauszufinden, ob es passt und wenn wir uns unsicher sind, versuchen wir es zu testen. Das ist aber von den Rahmenbedingungen abhängig.

Für gewöhnlich haben wir keine ausgeschriebenen Stellen. Wir bieten die Möglichkeit, dass Interessierte mit ihren Ideen zu uns kommen und entwickeln individuelle Aufgabenfelder und demzufolge auch passende Projekte. Rosinenpicken ist dabei ausgeschlossen.

Konkrete Bedarfe an Fachkräften haben wir im Bereich Bauleitplanung, Landschaftsarchitektur und Grünplanung, Geistes-, Kultur- und Politikwissenschaften, Webdesign und Programmierung, Betriebs- und Immobilienwirtschaft. Aber auch Handwerker:innen, Pädagogen:innen oder Sozialarbeiter:innen und ein paar bauvorlageberechtigte Ingenieure und Architekten wären noch toll. Das kollektiv soll sich in Zukunft noch mehr aus der Symbiose von Arbeitsfeldern zusammensetzen.

Wenn sich Leser:innen von solchen Aussagen inspiriert fühlen, ist es an der richtigen Zeit eine Nachricht an info@kollektiv-stadtsucht.com zu schicken. Vielleicht wäre in unserem Studium aber auch ein Modul Personalmanagement ganz angebracht gewesen. Das lernen wir aber auch gern weiterhin auf die harte Tour.

kollektiv stadtsucht kurz gefasst!

Interview geführt im März 2021

Bildmaterial: kollektiv stadtsucht

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